Die Zeit verstreicht ohne große Veränderungen. Ich finde mich mit meinem neuen Alltag in New Plymouth zurecht. Ich fange gegen mitte Mai gemeinsam mit zwei anderen Mitbewohnern des Hostels an bei dem Unternehmen „Acers Unlimited NZ Limited“ zu arbeiten. Die Firma züchtet japanische Ahornbäume mit Vertrieb in Europa und den USA. Das Team umfasst ungefähr 15 Angestellte darunter Backpacker aus Argentinien und England. Die Arbeit konzentriert sich anfänglich auf den Export der Bäume. Wir pflanzen sie um und verarbeiten sie anschließend in einer Werkhalle. Normalerweise ist dies die geschäftigste Zeit des Jahres, doch der Coronavirus schlägt auch hier zu. Der Export nach Europa läuft nur eingeschränkt. Gewöhnlich werden die Bäume aus Kostengründen in Transportkisten mit Passagiermaschinen nach Europa versandt. Aufgrund der Pandemie fliegen jedoch hauptsächlich nur noch Frachtmaschinen in Richtung Europa. Dies erhöht die Transportkosten um den Faktor 3 und ist damit nicht konkurrenzfähig für den europäischen Markt. Entsprechend geht die Nachfrage auf ca. 30 % des Vorjahres zurück. Alternativ werden neue Absatzmärkte in den USA erschlossen, was mehr schlecht als recht funktioniert. Unser Chef Jim ist besorgt über den Fortbestand des Unternehmens. Aktuell hilft ihm die Krisenpolitik der von der Labour-Party (ähnlich wie SPD) geführten Regierung, welche eine Art Kurzarbeitergeld einführte, um die Unternehmen zu stützen. Nach dem schwachen Export, pflanzen wir alle nicht verkauften Bäume erneut um und beginnen mit der neuen Zucht. Demgemäß läuft der weitere Betrieb auf „pump“, da es für dieses Jahr keine Einnahmen gibt. Der Chef geht folglich „All in“ und hofft auf einen außerordentlichen Export im Jahr 2021. Eine Alternative bleibt ihm auch nicht wirklich, schließlich kann die Produktion nicht gänzlich heruntergefahren werden, da die Bäume im Rhythmus von drei Jahren aufgezogen werden. In den folgenden Wochen pflanzen wir neue Bäume, stellen Windfänger auf, jäten Unkraut oder mähen Rasen.

COVID-19
Im Hostel herrscht derweil wieder Routine. Reisende kommen und gehen. Natürlich gibt es auch einige Langzeit-Gäste. Zum Beispiel Delphine aus Frankreich, welche als Freiwillige im Hostel im Austausch für Kost und Logis einige Stunden pro Tag aushilft. Weiterhin gibt es noch eine illustre chinesisch-chilenische Studierendengruppe, welche an der lokalen Universität einen Englischkurs besucht. Da wird am Abend schon mal Salsa in der Küche getanzt 🙂 An den Wochenenden bin ich in der Stadt unterwegs, aber eigentlich ist nicht viel zu erleben ohne einen fahrbaren Untersatz. Ich treibe weiter Sport im Pukekura Park, gehe schwimmen im Schwimmbad oder schaue in der Bibliothek vorbei. Hin und wieder gehe ich mit den Arbeitskollegen in ein Restaurant oder zur Quiz-Night in ein Pub. Glücklicherweise hat sich die Situation um den Corona-Virus am Ende des Lockdowns in Neuseeland gelegt. Über zwei Monate gab es keine neuen Fälle und tatsächlich geriet die Pandemie ein wenig in Vergessenheit. Doch leider kam COVID-19 im August zurück. Es ist nicht wirklich klar wie, vermutlich über importiertes Gefriergut. Ein weiteres mal geht das Land in Level 2 des Alarmsystems und damit sind alle öffentlichen Orte und Lokalitäten erneut nur eingeschränkt zugänglich. Erst gegen Ende September geht es zurück in Level 1. Zudem steht die Wahl zur neuen Regierung kurz bevor und die Parteien sind im Wahlkampf. Das Rennen macht am Ende die Labour-Party mit absoluter Mehrheit der Stimmen. Nicht zuletzt ein Vertrauensbeweis der Bevölkerung gegenüber der Premierministerin Jacinda Ardern aufgrund ihrer guten „Corona-Politik“ in den letzten Monaten.
Visageschichten
Zwischenzeitlich beantrage ich eine Visumsverlängerung. Eher zufällig erfahre ich von dieser Möglichkeit. Ich ging davon aus, dass die Voraussetzungen hier ähnlich derer in Australien sind. Damit wäre ich zu alt für eine Verlängerung. Doch glücklicherweise ist es in Neuseeland sehr einfach. Die Verlängerung beträgt nur 3 Monate (zum Vergleich mit 12 in Australien), dafür gibt es keine Altersgrenze. Es müssen lediglich 3 Monate in der Landwirtschaft oder Forstwirtschaft gearbeitet werden. Doch auch Corona bringt Neuerungen. So wurden mit Beginn des Lockdowns alle Visen bis September verlängert. Nun können Touristen bis Ende März bleiben und Work & Holiday Maker, wie ich, erhalten eine Verlängerung bis Juni 2021, wobei sich das Visa in ein „Saison-Visum“ verwandelt. Diese Visapolitik ist sicherlich sehr clever gewählt. Da die Landesgrenzen geschlossen sind können keine neuen Touristen für den bevorstehenden Sommer einreisen. Ein herber Verlust für die Tourismusbranche. Da macht es sicher Sinn, die sich noch hier befindenden Besucher:innen zum Bleiben zu bewegen. Weiterhin fehlen jede Menge Saisonkräfte für die Landwirtschaft. Auch da ist es sehr klug, die Backpacker hier zu halten, allerdings die Arbeitserlaubnis auf die Landwirtschaft zu beschränken (was die Umwandlung zum Saison-Visa sicherstellt). Leider werden diese neuen Bestimmungen erst einige Tage nach meinem Visaantrag verkündet. Ich muss natürlich für die “reguläre” Verlängerung bezahlen, die Umwandlung zum “kurzfristig” eingeführten Saison-Visa erfolgt automatisch und kostenfrei. Pech gehabt. Allerdings erhalte ich meine Verlängerung bereits nach einer Woche und zwar immer noch als Work & Holiday-Visa. Nun kann ich mit meinem Visum ebenso bis Anfang Juni hier bleiben, allerdings mit dem Vorteil, nicht auf Saisonarbeit beschränkt zu sein.
Wenig Luft zum Sparen
Mit dem neuen Visum erschließen sich mir plötzlich neue Möglichkeiten. War ich zuvor hin- und hergerissen zwischen einerseits genügend Geld anzusparen, um das Land noch etwas zu erkunden und andererseits auch ausreichend Zeit dafür zu haben, hat sich dieses Problem nun glücklicherweise erledigt. Die Schwierigkeit ist der relativ geringe Verdienst, welcher dazu führt lange arbeiten zu müssen, um Geld beiseite zu schaffen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Lebenshaltungskosten relativ hoch sind. Die Wohnungs- und Mietpreise sind einfach nur unverschämt und ein entscheidender politischer Faktor bei der Bundeswahl gewesen. Grund dafür sind ausländische Investments, besonders aus den USA soweit mir hier erzählt wird. So wurde in der Vergangenheit vor allem in touristische Gegenden wie Queenstown investiert. Die Kehrseite zeigt sich nun. Einheimische können es sich dort schon längst nicht mehr leisten zu wohnen und durch die Pandemie und den fehlenden Touristen hat die Stadt ihr Einkommen größtenteils verloren. Es wird zwar versucht den Investments einen Riegel vorzuschieben (so dürfen nur noch Staatsangehörige Grundstücke erwerben), aber auch dies kann sicher umgangen werden. Des weiteren sind die Lebensmittel teuer. Zumindest im Vergleich zu Australien. Ich schätze, dass eine Familie zwischen 20-25 % des Einkommens für Lebensmittel aufbringen muss. Wenn dieses Geld tatsächlich bei den Produzent:innen ankommen würde, könnte ich damit leben. Angeblich wird dies aktuell von der Regierung mittels einer Studie untersucht, wie mir jetzt schon mehrfach berichtet wurde. Zu guter Letzt sind dann noch die importierten Güter, welche durch die abgeschiedene Lage des Landes ebenfalls ihre Preise haben. Alles zusammen führt dann zu teuren Lebensumständen, welche nicht viel Luft zum Sparen lassen.
Neuer Job
Jedenfalls kann ich nun entspannt bis Ende des Jahres oder Januar 2021 arbeiten und danach herumreisen. Durch den Mangel an Arbeitskräften in der Landwirtschaft scheint es zudem einfach jederzeit eine Stelle zu finden. Da die Bezahlung eigentlich überall ähnlich niedrig ist, spielt es keine Rolle wo ich arbeite. Auf dem Bau bekomme ich den gleichen Lohn, wie in der Landwirtschaft (und die Arbeit ist identisch langweilig 🙂 ). In Australien war dies etwas differenzierter. So entschließe ich mich eine neue Anstellung zu suchen. Einerseits würde ich gern etwas neues lernen. Andererseits könnte ich mir auch vorstellen mehr Stunden pro Woche zu arbeiten, um schneller Geld anzusparen. So bewerbe ich mich zunächst auf eine Position in einer Bäckerei sowie als Imker, wobei ich beides interessant finde. Tatsächlich ist das Honiggeschäft in Neuseeland sehr groß. Besonders der super gesunde Manuka-Honig wird weltweit vertrieben (ich habe ihn getestet und finde ihn nicht gut). Leider handel ich mir nur Absagen ein. So gehe ich zu letzterem über und bewerbe mich um eine Stelle in einer Kiwifruit-Plantage. Ich erhalte sofort eine Zusage und mache mich gegen Ende September auf nach Opotiki.
The green panther
Mein Weg führt mich allerdings zuerst nach Napier. Nach langem hin- und her, habe ich entschieden doch ein Auto zu kaufen. Schon seit längerem stehe ich Kontakt mir Pascale und Marco, den beiden Reisenden, welche ich bei meinem ersten Job in Australien kennenlernte. Marco flog am gleichen Tag wie ich. Während es für mich nach Neuseeland ging, reiste er nach Australien, um mit Pascale in den Urlaube zu fahren. Wie bereits an anderer Stelle berichtet, müssen beide durch die Visa bedingt getrennt leben und arbeiten. Marco in Neuseeland, Pascale in Australien. Schließlich hat es Marco genauso erwischt wie mich. Er hat alles in Neuseeland zurückgelassen und kann nun nicht mehr zurück. Da nun beide beschlossen haben zurück nach Europa zu gehen, bietet er mir zu einem Freundschaftspreis sein Auto an. Obwohl ich es nicht wirklich benötige und es nur ein weiteres finanzielles Risiko darstellen kann, macht es viele Dinge einfacher. Besonders die letzten 6 Monate in New Plymouth haben mir gezeigt, dass es ohne Fahrzeug schon etwas beschwerlich sein kann. Zwar ist es möglich überregional mit dem ÖPNV zu reisen oder per Anhalter (dies ist hier wirklich sehr üblich), regional sieht es jedoch schlecht aus. Lebt man dann längere Zeit an einem Ort wird es schnell langweilig. Natürlich geht es per Mitfahrgelegenheit immer, aber ist nicht so gut planbar, was Tagesausflüge schwierig machen kann. Zudem ist der Arbeitsweg ohne eigenes Fahrzeug mitunter stressig, beispielsweise wenn der Arbeitskollege, der einen mitnimmt, spontan krank wird oder 5 Minuten zu früh am vereinbarten Treffpunkt ist und dann nicht der Meinung ist, warten zu müssen 🙂
So fahre ich an einem verregneten Sonntagmorgen mit dem Bus nach Napier. Dort steht mein zukünftiges Gefährt, ein Peugeot 406. Lustigerweise gehörte das Auto ursprünglich den Eltern von Andrew, dem Farmmanager von Warambeen in Australien. Marco kaufte es von und parkte es dann bei ihnen, als er sich auf den Weg nach Australien machte. So lerne ich die Eltern von Andrew kennen und sie helfen mir das Fahrzeug anzumelden. Es ist wirklich in einem sehr guten Zustand und hat allen möglichen Schnickschnack integriert. Der defekt meines Computers bei der Ankunft in Napier gibt mir einen Tiefschlag. Glücklicherweise ist der Fehler schnell gefunden und meine Daten sind nicht betroffen. Zwar hatte ich in der Vergangenheit vorbildlich Backups erstellt, diese allerdings nicht überprüft. Sie waren fehlerhaft und damit wertlos. Ich finde online dasselbe Computer-Modell im gebrauchten Zustand und bestellte es mir in meine neue Unterkunft.

Opotiki
Im Anschluss fahre ich weiter nach Opotiki, wo ich in einem Working-Hostel unterkomme. Nach der schlechten Erfahrung in Australien, überlege ich auch hier lange, das Risiko erneut einzugehen. Letztlich scheint mir Neuseeland allerdings ein besseres Pflaster zu sein. Nach meinem Empfinden nach sind die Leute hier in puncto Arbeitsbedingungen wesentlich bemühter und die Arbeitsrechte sind strenger. So erhielt ich in der Gärtnerei vollständige Arbeitskleidung, an gesetzlichen Feiertagen ist es verboten zu arbeiten, trotzdem gibt es Tageslohn und die zwischenmenschliche Behandlung ist trotz Gelegenheitsjob netter. Bei meiner Ankunft steht die neue Sommer-Saison am Anfang. Wir sind daher nur 5 Personen im Hostel, bei einer Kapazität von ungefähr 85. In den nächsten Tagen füllt sich die Unterkunft und zu meinem erstaunen vor allem mit Locals. So finden sich einfach keine Backpacker und die Unternehmen versuchen einheimische Arbeitskräfte anzuwerben. In der ersten Woche gibt es noch nicht viel zu tun. Wir sind nicht direkt bei einer Farm angestellt, sondern bei einem Subunternehmer. Dieser steht mit mehreren Kiwi-Plantagen in der Region in Kontakt und verteilt uns dann. Die hauptsächliche Arbeit im Frühjahr ist das sogenannte „Bud thinning“. Wie mir erklärt wird, kommt die Kiwifrucht ursprünglich aus China und ist eher eine Beere. Werden jedoch zu Beginn der Saison, viele der Beeren entfernt, sodass nur einige zurückbleiben, reifen diese dann zu der bekannten Kiwigröße heran. Die Arbeit ist an und für sich jedoch super langweilig und ich bin froh, dass wir Musik hören dürfen. So verbringe ich jeden Tag mit 8 h Musik, Podcasts oder Hörbüchern. Es wird an jedem Tag gearbeitet, so lange es nicht regnet. So komme ich pro Woche auf ungefähr 56 h. In der Kleinstadt Opotiki ist eigentlich nicht viel los. Sollte es dann doch mal einen Tag regnen, so hängen wir gemeinsam im Hostel ab. Mittlerweile sind wir ungefähr 30 Personen und die Gemeinschaft ist sehr gut. Gelegentlich kochen wir gemeinsam oder machen einen Netflix-Abend. Auch der Party-Spass darf nicht zu kurz kommen, wobei es den ein oder anderen feucht-fröhlichen Abend gibt 😉
Erdbebengebiet
Erst im letzten halben ist mir klar geworden, dass Neuseeland ein ziemlich aktives Erdbebengebiet ist. Tatsächlich schaukelt es hier jeden Tag ein wenig, wenn man sich im Internet informiert. In New Plymouth lag das Stärkste Beben bei 5.6. Ich saß gerade beim Abendbrot, als der Stuhl etwas zitterte. Doch so richtig trifft es mich in der Küche in Opotiki. Vor dem Herd stehend geht es für mich einmal zum in der Mitte befindlichen Arbeitstisch und wieder zurück. Auch die klapprigen Holzregale schaukeln heftig. Das Beben hat „nur“ eine Stärke von 4.2, jedoch liegt das Epizentrum ziemlich nahe.
Ausblick
So werde ich nun höchstwahrscheinlich bis Ende des Jahres hier bleiben und hoffe bis dahin etwas Geld beiseite schaffen zu können. Ich denke das Hostel ist auch ein guter Ort, um Weihnachten und die Feiertage mit der Community verbringen zu können. Danach kann ich hoffentlich zum Wandern auf die Südinsel aufbrechen.