Das letzte Septemberwochenende naht. Es steht unter dem Zeichen „Public Holiday“ (Feiertag), da die „Finals“ bevorstehen. Australien ist eines der wenigen Länder (vielleicht sogar das Einzige ?), welches öffentliche Feiertage aufgrund von Sportereignissen hat (so wird es mir zumindest mitgeteilt). Die “Finals” bedeuten das Finale im australischen Football und Rugby und finden am Wochenende statt. Der Freitag ist zudem Feiertag, damit die Leute zu den Spielen anreisen können.
Mein Hostel ist an diesem Wochenende restlos ausgebucht, die Fahrrad-Werkstatt hat geschlossen und ich bereite mich auf meinen ersten Job vor. Ich besorge mir Arbeitsutensilien wie Schutzbrille, Hut, Arbeitshose, Arbeitsschutzschuhe (Multifunktional, können auch zum Wandern genutzt werden) und eine große Packung Sonnencreme. Mir ist immer noch schleierhaft, wie ich auf die erste Jobbewerbung sofort eine Zusage erhalten konnte. Aber etwas Glück gehört dazu.
Am Sonntag setze ich mich in den Zug und fahre in die ca. 100 km entfernte, westlich von Melbourne liegende Stadt Ballarat zum günstigen Wochenendtarif von 15 $. Dort werde ich von Phil abgeholt. Er rief mich in den letzten Tagen noch zweimal an und teilte mir einerseits mit, dass die eigentlich Tätigkeit aufgrund des Wetters noch nicht beginnen kann. Dafür schlug er vor bei der Schafbewirtschaftung mitzuhelfen. Andererseits sind gerade Schulferien und er möchte wenigstens einen Tag mit seinen Kindern verbringen. Daher fragte er an, ob es für mich in Ordnung sei, wenn ich seinem Familienausflug beiwohne und zudem die erste Nacht bei ihm schlafe, da es ein Umweg wäre, mich zur Farm zu bringen. Ich hatte mit beidem kein Problem. Am Bahnhof nimmt er mich in Empfang und es geht zu einer Art Kinderspielhalle („Happy Jacks“), wo ich seine Familie und Freunde kennenlerne. Die Halle wird vor allem für Kindergeburtstage und Familienausflüge genutzt und besitzt mehrere Kinderspielplätze.
Der direkte Kontakt mit den Leuten ist einfacher, als über das Telefon. Verstehe ich etwas nicht, frage ich einfach nach und Phil erklärt es mir. Das ist ziemlich nett und ich kann meine Skills weiter verbessern. Er hat eine Frau namens Pad, einen fast erwachsenen Stiefsohn Time und zwei kleine Töchter Emily und Isabella. Nach dem Ausflug kann ich etwas bei Aldi einkaufen und danach geht es zu ihm nach Hause. Vor dem Abendbrot zeigen mir seine kleinen Töchter noch seine Ranch. Sie sind vier und fünf Jahre und machen mich auf jeden Winkel des Gartens mit allen Pflanzen aufmerksam. Da beide Mädchen in ihrem Alter noch nicht so umfangreiche Sprachkenntnisse besitzen, kann ich mich gut mit ihnen unterhalten. Erstmalig eine fast problemlose Kommunikation auf „Augenhöhe“ mit ein paar Einheimischen 🙂
Nach dem Abendbrot erklärt mir Phil nochmals die auszuführende Tätigkeiten und zeigt mir einige Bilder. Nun wird mir alles klar. Der eigentliche Job besteht darin, Unkraut auf Feldern zu vernichten, welche die heimischen Arten am Wachstum hindern. Die ist der australischen Regierung so wichtig (Label: Stärkung der australischen Flora und Fauna), dass sie eine Nicht-Behandlung des Unkrauts sogar unter Strafe stellt. Als Mittel dienen Unkraut jäten oder Unkrautvernichtungsmittel spritzen. Auf der Farm wird Letzteres angewandt. Da aufgrund des Wetters das Unkraut noch nicht blüht, ist es nicht ohne Schwierigkeiten von den „guten“ Pflanzen zu unterscheiden. Deshalb kann die Arbeit, welche sich „Weed Management“ nennt, noch nicht losgehen. Stattdessen soll ich beim sogenannten „Lamb Marking“ aushelfen. Dabei werden die Lämmer von ihren Müttern getrennt und erhalten im Anschluss daran ein Mittel injiziert. Weiterhin werden die Lämmer getagt (Markierung am Ohr) sowie einige Körperglieder be- und abgeschnitten. Danach werden sie mit den Müttern wieder zusammengeführt. Wie es sich in der anschließenden Woche zeigt, klingt dir Arbeit nicht nur schlimm, sondern ist es auch. Die Leute gehen einfach nur Rücksichtslos vor, treu dem Motto: „Time is money“. Und da es viele Schafherden mit bis zu 500 Tieren gibt, wird das Motto großgeschrieben.
Am Montagmorgen fahre ich mit Phil zur Farm und lerne dort die anderen Backpacker kennen. Es sind Troy aus Kanada, Angos aus Victoria, Marco aus Italien und Pascale aus Frankreich. Troy und Angos sind bereits seit einigen Wochen beim Lamb Marking tätig. Marco und Pascale sind erst vor kurzem angereist und sollen mit mir zusammen das Weed Management durchführen. Während ich beim Lamb Marking unterstütze, übernehmen sie einige Gartenarbeiten auf der Farm bis das Weed Management beginnt. Troy ist Backpacker, Angos allerdings ein australischer Schüler. Es sind Schulferien und er verdient sich etwas Geld dazu. Weiterhin lerne ich noch Matthew, Pete und Andrew kennen, die auf der Farm arbeiten, sowie Ian und James, welche die Farm besitzen. Ian ist der Vater von James. Beide führen gemeinsam die Farm und leben auch hier auf ihrem jeweiligen Anwesen. Andrew ist der Farm-Manager und lebt ebenfalls mit seiner Familie nah bei der Farm. Zudem gibt es ein kleines Schulungszentrum mit Unterkünften („Landcare Center“), welche während der Saison von uns Backpackern genutzt werden. Jede Partei hat sogar eine eigenes Zimmer, da es genügend gibt. Die Küche ist groß und bietet ausreichend Platz. Mir gefällt es daher sehr gut im Vergleich zu den voll gestopften Hostels. Die Farm ist hauptsächlich eine Schaffarm, welche seit dem späten 19. Jahrhundert existiert. Daneben wird Geld mit Schweinehaltung sowie Raps- und Weizenanbau verdient. Sie hat eine Größe von 6500 Hektar.
In der ersten Woche begleite ich das Lamb Marking. Wir fahren dafür entweder raus auf die Wiesen, wo die Schafherden, meist von Andrew und seinen Hunden zusammengetrieben, auf uns warten oder gehen in die Wool Shed (Woll-Hütte, hier werden die Schafe geschoren), wo sich auch genügend Platz für die Arbeit findet. Manchmal müssen wir auch selbst die Herden zusammentreiben, was ziemlich kompliziert ist. Zum ersten Mal verstehe ich den Sinn von „Schäferhunden“, welche hier auf dem Land zu jeder Farm gehören. Die Hunde sind super trainiert und sehr hilfreich. Sind die Schafe und Lämmer einmal zusammen gepfercht, beginnt das Martyrium. Zunächst werden die Muttertiere von den Lämmern getrennt und erhalten ein Mittel gegen Bandwürmer per Schluckimpfung zugeführt. Danach können die Mütter zurück auf das Feld und die Lämmer werden weiter „bearbeitet“. Durch das Zusammenpferchen geraten hin und wieder einige Schafe oder Lämmer „unter die Räder“ und sterben. Wo gehobelt wird, fallen schließlich auch Späne. Danach werden die Lämmer in eine Art Folterkarussell gesteckt. Dabei handelt es sich um fünf, an ein drehbar gelagertes Gestänge befestigte, Cradles (Wiegen), dies sich im Kreis drehen lassen. Jede Wiege steht für eine Station. Nach der Fixierung, erhalten die Tiere Spritzen und Ohr-Tags, männliche Lämmer werden kastriert (bis auf wenige sehr wertvolle Tiere). Am Ende wird der Schwanz mit einem heißen Zange abgetrennt und ein Desinfektionsmittel auf einigen Körperteilen aufgetragen. Im Anschluss daran können die Lämmer zurück auf die Weide. Ich verschaffe mir einen der harmloseren Posten und fixiere die Lämmer auf dem Folterstuhl.
Die vielzitierte australische Gelassenheit ist meinen bisherigen Erfahrungen nach auch darin begründet, dass sich die Leute einfach keine oder nur wenige Gedanken über irgendetwas machen. Natürlich findet eine „Nutztierverarbeitung“ in ähnlicher Art und Weise auch bei uns statt, z.B. die gerade in den Medien diskutierte Ferkelkastration. Trotzdem sehe ich hier einen Zusammenhang. Andere Beispiele sind Wasserverschwendung trotz zunehmender Knappheit, Fahrzeugnutzung auch für kleinste und vor allem sinnlose Strecken oder die unzureichende Mülltrennung. „No worry“ ist die australische Phrase schlechthin. Vor diesem Hintergrund heißt es für mich aber eher „Keine Ahnung, wird schon irgendwie“. In jedem Fall ist die Arbeit notwendig, um die Lämmer und Schafe vor Krankheiten zu schützen. Die Art und Weise könnte jedoch meiner Meinung nach deutlich anders gestaltet werden. Auch wenn es länger dauert und Mehrkosten verursacht. Dies sollte es uns Wert sein. Europa ist da scheinbar schon weiter, obwohl es bei der Umsetzung wie so oft mangelt.
Die Woche ist hart, aber ich halte durch. Tätigkeitsbeschreibungen werde ich zukünftig ernster nehmen und Tierarbeit meiden. Das Lamb Marking findet einen Abschluss und Troy sowie Angos verlassen die Farm am Ende der Woche. Beide sind nette und lustige Typen und die monotone Arbeit wurde dadurch etwas angenehmer.
In der folgende Woche kann das Weed Management noch immer nicht beginnen. Ich erledige daher gerade anstehende Aufgaben, wie Gartenarbeit, Auto und Traktor fahren oder Zäune bauen. Die Mitarbeiter, aber auch Phil und seine Familie sind sehr nett und ich denke, ich habe eine gute, seriöse Farm erwischt.

Farm Warrambine

Das Landcare-Center von Warrambine

Wool Shed – hier werden die Schafe geschoren

Kurze Pause beim Lamb Marking

Abschlussfoto Lamb Marking mit Phil, Matthew,Time, Angos und Troy

Hedge diving – Phil beim Hecke schneiden, für den oberen Teil nutzt er ein eigens entwickeltes “Surfbrett” aus zwei Holzbrettern sowie Traktor und schwebt damit über die Hecke