Mein kleiner Ausflug in die akustische Welt war dann doch nicht so zeitsparend wie erwartet 🙂 Deshalb back on track ! Nach der wunderbaren Urlaubszeit ist mein Geld aufgebraucht und ein neuer Job steht auf dem Plan. Zum Glück macht es die Pandemie immer noch sehr einfach, denn die Grenzen sind nach wie vor dicht und neue Arbeitskräfte Mangelware. Eine kurze Suche im Internet macht mich auf ein „Apple Packhouse“ in Roxburgh (Central Otago), aufmerksam. Einen Tag später habe ich die Stelle sicher und fange als „Grader / Packer“ an. Zuvor besuche ich jedoch einen Erste-Hilfe-Kurs in Dunedin. Ich möchte gern einen speziellen Tauchkurs absolvieren und dafür ist solch ein Lehrgang notwendig. Es ist lange Zeit her, dass ich mich mit Erste-Hilfe beschäftigt habe, aber es macht einmal mehr sehr viel Spaß.
Kurz darauf habe ich meinen ersten Arbeitstag. Das Packhouse verpackt die Äpfel der parallel laufende Ernte und versendet sie dann in alle Welt. Die Obsthöfe der Region senden alle ihre Ernten zu dieser Einrichtung, welche dann den weiteren Vertrieb übernimmt. Die Apfelernte läuft ungefähr von März bis Mai, das Verpacken dauert etwas länger bis ca. Ende Juni. Durch den Mangel an Arbeitskräften zieht sich allerdings alles etwas in die Länge, denn die Fließbänder laufen langsamer als üblich. Mein Aufgabe ist es am Band zu stehen und die Äpfel auf Beschädigungen oder schlicht falsche Größe zu kontrollieren, welche die vollautomatisierte Anlage nicht bereits aussortiert hat. Alternativ kann ich die Position auch wechseln und die Schalen mit Äpfeln in Kisten verpacken. Die gesamte Fabrik ist sehr modern, denn die alte Halle ist 2017 abgebrannt und wurde 2018 neu errichtet. Die Arbeit ist sehr monoton und wird zusätzlich durch nervige 90er Jahre Musik erschwert. Es ist verboten sein Smartphone zu benutzen. Als Ausgleich wird über Lautsprecher Musik in voller Lautstärke eingespielt, nur leider haben die Verantwortlichen nach meinem Empfinden einen fürchterlichen Musikgeschmack und ich leide aufrichtig.

Die Gegend von Central Otago wird schon seit Jahrzehnten zum Obstanbau genutzt. Das Wetter hier ist sehr mitteleuropäisch bzw. semi-kontinental (semi-arid), d.h. die Winter kühl mit Frost und sogar Schnee, die Sommer warm bis heiß und trocken. Zwar kommt vom Westen her feuchte Luft vom Ozean, diese regnet sich jedoch zuvor in den Alpen um Queenstown ab. Folglich hält sich besonders im Sommer der Niederschlag in Grenzen, was gut für das Obst ist, welches dann nicht aufplatzt oder verrottet. Was heute die Anlage automatisch erledigt, musste früher von Hand getan werden. So ist die Tätigkeit des „Graders“ nichts weiteres als Äpfel nach Größe zu sortieren. Dies macht nun die Maschine und ich kontrolliere nur, ob sie das richtig macht. Zwar läuft der ganze Prozess nun schneller ab, allerdings fallen so viele Äpfel gleichzeitig an, dass es wieder zahlreiche Leute braucht, um sie sofort zu verpacken. Auch der Anspruch an die Verpackungen ist gestiegen und die Anzahl der Plantagen hat ebenfalls zugenommen. Aus diesem Grund ist der Bedarf an Arbeitskräften trotz moderner Technik nicht wirklich gefallen. Allerdings natürlich auf Kosten der Natur und Umwelt durch die hinzugewonnenen Plantagen. Für mich also ein Hinweis, dass die einfache Logik „Neue Technik gleich weniger Arbeitsplätze“ in unserem ökonomischen System nicht schlüssig ist. Als technisch interessierte Person muss ich zudem feststellen, dass trotz vollautomatisierter Produktionsanlagen, immer noch simple Handarbeit notwendig ist. Ich zweifle nicht daran, dass die Technik in der Lage wäre meinen Job überflüssig zu machen, jedoch scheint sie momentan noch zu teuer. Weiterhin ist das Leben komplex und wenn ein fauliger Apfel die Sensoren der Anlage berührt und dabei verschmutzt, dann brauch es eben doch Leute, die regelmäßig sauber machen und den ganzen Prozess überwachen. Die Geschichte der großen Tech-Unternehmen, dass in zehn Jahren ein Großteil der Arbeitsplätze wegfällt, nehme ich ihnen aus meiner Erfahrung bisher nicht ab. Ja es wird passieren, aber deutlich später.
Eine Unterkunft finde ich auf einem nicht zu weit entferntem Campingplatz. Die Fabrik beschäftigt ungefähr 100 Leute und entsprechend sind die Unterkünfte der Umgebung völlig voll. Insgesamt finde ich den Betreiber der Fabrik CAJ in Ordnung. So gibt es zu den Pausen regelmäßig Tee und Gebäck. Weiterhin werden am Ende der Woche vier Mitarbeiter:innen ausgewählt, welche einen Gutschein für ein Cafe im Ort erhalten. Zudem wird zwischen diesen Leuten noch ein Geschenk ausgelost. Auch ich bin einmal dabei und Gewinne sowohl den Gutschein, als auch das Geschenk. Ich treffe viele verschiedene Leute und die Zeit geht schnell vorbei. Ein weiteres Highlight ist der „Tragbare Hut-Wettbewerb“ („Wearable Hat Contest“). Dafür erhalten alle Mitarbeiter:innen Zugang zu unbrauchbarem Verpackungsmaterial, um daraus einen Hut zu basteln. Schließlich findet an einem Tag der Wettbewerb statt, an welchem die Teilnehmer:innen ihren Hut mit einem Gang über den Catwalk vorstellen müssen. Eine Jury bewertet die Hüte und vergibt entsprechend Preise. So sitze ich die folgenden Wochen und bastle an meinem Hut. Freunde geben mir Hinweise für ein geeignetes Motiv, doch meine anfänglichen Versuche die Verpackungskartons mit Draht und Pappmacheé zu verbinden schlagen fehl. So bin ich fast am Aufgeben, als die Idee das Material zusammenzunähen funktioniert. Leider bekomme ich jetzt mein Motiv, einen Apfel natürlich, nicht mehr schön rund geformt. Doch ein Geistesblitz, wie er nur noch selten vorkommt, rettet mich und ich bin nach vielen Arbeitsstunden sehr zufrieden mit meinem Werk. Der Hut kommt am Wettbewerbstag sehr gut an und ich erhalte viel Lob. Leider ist meine Performance auf dem Catwalk wie zu erwarten grottig und so mache ich den 2. Platz in der Gesamtwertung, erhalte allerdings einen Sonderpreis für die beste Motivwahl. Insgesamt sahne ich richtig ab und bekomme Geldgutscheine im Wert von 300 $. Am Ende der Saison verlassen mehr und mehr Leute die Fabrik. In der letzten Woche gibt es noch eine finale Auslosung zwischen allen Wochengewinner:innen. Da nicht mehr so viele Personen aus dieser Menge anwesend sind, erhöhen sich die Chancen und so gewinne ich auch diesen Preis, einen weiteren Einkaufsgutschein im Wert von 200 $.

Cornelis Adrianus Josephus Van der Voort (CAJ)
Die Firma CAJ wurde von einem Niederländer gegründet und befindet sich immer noch in Familienhand. Obwohl der ältere Herr die Geschäfte an seine Tochter abgetreten hat, läuft er hin und wieder durch die Halle. Das Unternehmen ist der größte Arbeitgeber der Region und unterstützt die Community auch finanziell in cleverer Art, was ich für ein angemessenes Konzept halte. Die gewonnenen Gutscheine sind beispielsweise für den lokalen Supermarkt oder das Cafe. Um die Angestellten bei Laune zu halten wird zudem ab und zu das ansässige Kino gemietet und eine Filmvorführung organisiert. Außerdem gibt es in den letzten Wochen warme Mittagessen oder am letzten Tag ein großes Buffet, zubereitet von dem örtlichen Cafebetreiber.
Radeln gehen
Meine Freizeit an den Wochenenden verbringe ich zumeist auf dem Rad. In der Gegend gibt es einige Fahrradwege zu erkunden. So entdecke ich den “Clutha Gold Trail” entlang des mächtigen Clutha Rivers. Etwas weiter entfernt von Roxburgh fahre ich ein Stück des „Around the Mountain Trail“, welchen ich bereits auf meiner großen Fahrrad-Tour begonnen, jedoch nicht beendet hatte. Ich nutze ein langes Wochenende und zelte bei den Mavora-Lakes. Allerdings ist das Wetter regnerisch kalt, besonders bei meiner Anreise. Ich komme bei strömenden Regen im Dunkeln bei den Seen an und baue völlig durchnässt mein Zelt auf. Dafür sind die folgenden Tag sonnig und meine Sachen trocknen wieder einigermaßen. Ganz in der Nähe von meiner Unterkunft in Roxburgh wurde erst im Mai ein neuer Radweg eröffnet, der „Lake Dunstan Trail“, welcher die beiden Städte Cromwell und Alexandra verbindet. Im April bin ich auf meiner Rad-Tour diesen Abschnitt auf dem Highway entlang gefahren. Nun kann ich die wesentlich schönere und sicherere Alternative austesten. Bei herrlichem Wetter fahre ich vom Wasserkraftwerk in Clyde ausgehend nach Cromwell und wieder zurück. Unterwegs halte ich an einem Cafe-Boot um mir ein Heißgetränk und ein Stück Kuchen zu gönnen. Der Lake Dunstan wurde über einen Staudamm künstlich erzeugt und versorgt die Region mit elektrischer Energie.
Postskriptum
Titel des Blogbeitrages in Anlehnung an die interessante aber nicht ganz wahre Geschichte “Mr. Daisey and the Apple Factory” von dem public radio program “This American Life”